Hallo und willkommen zurück zu khamo!
Dieser Artikel ist wieder einem Mann gewidmet, der unserer Meinung nach einen Platz in unserer „Men of Today“ - Blogserie verdient hat.
Mit Deniz Yücel haben wir schon eine gewisse Richtung eingeschlagen, nun möchten wir dieser noch weiter folgen. Yücel wurde wegen seinen regimekritischen journalistischen Berichterstattungen in der Türkei ein Jahr lang von den türkischen Behörden inhaftiert.
Solltest du noch nie etwas über diesen Mann gehört haben, dann lies dir unseren Artikel zu ihm durch: link
https://www.khamodesign.com/2019/11/03/men-of-today-deniz-y%C3%BCcel/
Doch seine Geschichte ist nur eine von hunderten, ein Schicksal, dass durch die deutschen Medien weitere Verbreitung fand als die Anderen.
Ein Mann, der sich viel damit beschäftigt diese anderen Geschichten festzuhalten, ist Christoph Bangert, ein deutscher Fotograf, der schon früh mit seinen Bildern Aufmerksamkeit erregte. Unter anderem schoss er Bilder für die New York Times, Stern Magazine und die Neue Zürcher Zeitung und reiste durch ganz Afrika sowie große Teile Asiens.
Doch im Gedächtnis ist er vor allem wegen seiner beiden letzten erschienenen Bildbände geblieben. Beide handeln vom Krieg und seinen Auswirkungen. Das Interessante an diesen beiden Büchern ist, dass sie sich nicht nur mit dem Schrecken kriegerischer Auseinandersetzungen befassen, sondern auch die andere Seite, den komischen Aspekt, beleuchten. Die Seite, von der niemand, der noch keinen Krieg gesehen hat, glauben kann, dass es sie gibt.
Christoph Bangert hat beides in seinen Büchern „War Porn“ und „Hello Camel“ festgehalten und mit Pigmenten auf Papier gebannt.
Bangert selbst wurde 1978 in Daun, Westdeutschland geboren. Zuerst studierte er Maschinenbau in Karlsruhe, später dann Fotografie in Dortmund. Anschließend besuchte er das International Center of Photography in New York, wo er 2003 seinen Abschluss machte.
Seine Leidenschaft für den Rallye Sport führte schließlich dazu, dass er mit einem Land Rover in sechs Monaten von Buenos Aires nach New York City reiste und auf diesem Weg Fotografien zu seinem ersten Buch „Travel Notes“ sammelte.
Von 2005 bis 2006 verbrachte er neun Monate im Irak. Dort dokumentierte er im Auftrag der New York Times als einer der wenigen westlichen Fotografen den irakischen Aufstand, der auf die amerikanisch geführte Invasion zwei Jahre zuvor folgte.
Das Werk „Iraq: The Space Between” fängt eindrucksvoll die gewollte oder schlicht eingetretene Distanz zwischen Menschen, Kulturen, vorher und nachher, dem Betrachter und dem Fotografen, ein. Es sind nicht nur Bilder vom Krieg, sondern auch von den Dingen dazwischen. Man könnte sie teilweise sogar als ruhig, ja still benennen. Es gibt weder Explosionen noch Schießereien, es sind eher die Vorbereitung und die Auswirkungen, das Zuvor und Danach, die Bangert hier einfängt. Der Abstand dazwischen eben.
2013 erschien sein nächster Bildband, wieder eine Reisedokumentation. Diesmal in Begleitung seiner Frau Chiho reiste er in 14 Monaten einmal durch Afrika. Auf 60 000 Kilometern kommen einige Abenteuer zusammen, welche sie durch Fotos, Tagebucheinträge, Fundstücke und noch mehr auf Papier gebracht haben.
Doch so leichtfüßig sind nicht alle von Bangerts Fotografien und Erinnerungen.
Ein Jahr später erschien im Kehrer Verlag ein Bildband, welcher niemanden unberührt lässt, der ihn in der Hand hält.
Sein Buch „War Porn“ (z. dt. Kriegs Pornographie) schaut nicht weg, sondern hin. Es zeigt die sonst so oft zensierten Bilder einer schrecklichen Wahrheit, die sich auf einem anderen Kontinent abspielt. Das macht es uns normalerweise leicht, wegzusehen, uns damit herauszureden, dass wir das Abgebildete nicht ertragen können. Und vielleicht ist es tatsächlich so, aber trotzdem haben wir als Menschen die Verpflichtung hinzusehen. Wenn wir schon nichts tun oder tun können, um diese Schrecken zu verhindern oder zu beenden, dann ist das Mindeste, das wir tun können, hinzusehen.
Manchmal muss man dazu auch eine bewusste Entscheidung treffen, da, wo andere sich nicht entscheiden können. Deshalb sind viele Seiten in dem kleinen Buch versiegelt, man muss die Perforierung mir einem Messer oder Brieföffner aufschneiden. Man kann sie aber auch geschlossen halten, wenn man die Bilder dahinter nicht sehen will.
Man sieht einen durch ein weißes Tuch verdeckten Körper. Eine Seite später wird das Tuch angehoben, das Gesicht eines Jungen kommt zum Vorschein, er kann nicht älter als acht Jahre sein. Ein Mann, die Haut durch Verbrennungen vom Körper gefressen, Kinder, deren Gesichter durch Bomben, Feuer oder etwas anderes zersprengt wurden. Mittendrin das Portrait einer Frau. Sie scheint körperlich unversehrt, aber das, was dieses Foto ausmacht, ist die Stille.
Ein Mann, dessen toter Körper auf einer Müllhalde entsorgt wurde. Die Arme fehlen, vom Hals ist nur mehr die freigelegte Wirbelsäule da, welche das seltsam unangetastete Gesicht noch am restlichen Körper hält.
Wie in einem Schlachthaus wird das Blut vom Fliesenboden zum Abfluss hin geschrubbt, aber die Bilder, die einem entgegenschlagen, kann man nicht wegschrubben. Gleich wie Harz kleben sie sich im Verstand fest, lassen einen nicht mehr los.
Christoph Bangert selbst schreibt im Vorwort dazu Folgendes:
„We all self-censor. I do. (…) And you do too! Our brains try to protect us from looking. We are afraid that we might be afraid. (…) If we don’t allow ourselves to look at horrific pictures, how are we going to remember comprehensively?”
(z. dt. “Wir alle zensieren uns selbst. Ich tue es. (…) Und du tust es auch! Unsere Gehirne versuchen, uns vor dem Gesehenem zu beschützen. Wir fürchten uns davor, uns zu fürchten. (…) Wenn wir uns nicht erlauben grässliche Bilder zu betrachten, wie sollen wir uns sonst an alles umfassend erinnern?“)
Erinnern tut sich Bangert auch mit seinem letzten Buch „Hello Camel“. Es ist ebenfalls eine bildgewaltige Aufzeichnung zum Krieg allgemein, aber diesmal ist es ungewöhnlich. Denn er hält komische, absurde und, ja, lustige Momente fest.
„Entweder lachts du oder du stirbst“, sagt der Schöpfer dieser Fotografien im Prolog zu diesem Kriegsdrama der anderen Art. Verrückt? Vielleicht. Aber auf jeden Fall nicht leicht zu verstehen und trotzdem die einzig passende Erklärung.
Es ist aber gut, dass er es nicht bei „War Porn“ belassen, sondern diesem Kapitel in seiner Karriere einen anderen Schluss eingeräumt hat. Denn obwohl einige der Bilder einen schalen Nachgeschmack hinterlassen, nehmen sie doch die Schärfe von dem allen, allerdings ohne zu beschönigen.
Seit Hello Camel hat Christopher Bangert keine neuen Bücher mehr veröffentlicht. Doch das Nächste kommt bestimmt, es ist ein Langzeitprojekt zu Fukushima und den Auswirkungen der Kernreaktorenschmelze. Wie es dort wohl aussehen mag? Wir werden es erfahren.
Sabina Annette Khan dankt herzlich für diesen Blogeintrag.
Der Artikel wurde geschrieben von Julia Köttritsch, einer Kostümdesign Studentin der HAW Hamburg. Sie ist für den Blog von khamodesign zuständig und bringt euch sowohl in regelmäßigen Abständen starke Frauen im Wicked Women Wednesday näher, als dass sie auch über die Neuigkeiten von khamodesign berichtet.
Quellen:
„War Porn“, Christoph Bangerts, Kehrer Verlag, 3. Auflage 2015
Zitate aus dem Vorwort
„Hello Camel“, Christoph Bangerts, Kehrer Verlag, 1. Auflage 2016
Zitate Vgl. Vorwort
Vice; „Diese Fotos zeigen, wie absurd moderne Kriege sind“, Bruno Bayley, 08. Juni 2016
http://vice.com/de/article/4wpjgm/die-absurditart-der-modernen-kriegsfuehrung
zuletzt aufgerufen am 04.02.2020
Christoph Bangert Website
http://www.christophbangert.com/index.htm
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Powerhouse Books; “Iraq: The Space Between”
http://www.powerhousebooks.com/books/iraq-the-space-between/
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LutherKirche, evangelische Gemeinde Köln; “23. Kölner Talkgottesdienst am 20.09.2015. Zu Gast: Christoph Bangert“; Helga Fitzner, Sonja Gruppe; Verfassungsdatum unbekannt
http://lutherkirche-koeln.de/christoph-bangert.aspx
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